Synergien: Alle Fachrichtungen unter einem Dach
Nach der Anreise mit Zwischenstopp über Helsinki holte mich Tapani Komulainen, der Erasmus+-Projektkoordinator des Musik-Departments von KAO, am nächsten Morgen vom Hotel ab und brachte mich zum Vocational College. Dort erhielt ich von ihm eine Führung durch die gesamte Einrichtung.
Es gibt z.B. eine Abteilung, die auf das Erstellen von professionellen Computerspielen spezialisiert ist. Hier wird u.a. der Nachwuchs für diesen Geschäftszweig ausgebildet, in dem Finnland weltweiter Marktführer ist. Die notwendige Musik dazu kann drei Türen weiter parallel hergestellt werden.
YritysAmis: Praxisbezug hat oberste Priorität
Neben den verschiedenen Verknüpfungen innerhalb des Instituts ist das Wichtigste der direkte Kontakt zur Wirtschaft. Die Schule erhält z.B. eine Gig-Anfrage von außen. Diese wird an die Schüler weitergeleitet. Sie kümmern sich dann selbstständig um alle vertragsrechtlichen sowie organisatorischen Belange und können dabei auf sämtliche Ressourcen der Schule wie Bandbus, Equipment etc. zurückgreifen.
Erster Unterrichtserfahrung: Jazz & Singen für alle waren eher Neuland
Finnische Spezialität: Projektbezogenes Lernen
Im Anschluss erklärte mir Tapani Komulainen das finnische Schul- und Ausbildungssystem von der Grundschule bis zum Master. Prinzipiell ist der Unterricht ab dem 16. Lebensjahr vorwiegend projekt- und praxisorientiert – egal ob an einem Vocational College oder an einem Gymnasium. Der Stundenplan ist jede Woche flexibel und richtet sich nach den anstehenden Projekten. Dies verlangt eine große (zeitliche) Flexibilität von Lehrern und Schülern. Dafür gibt es jeweils einmal die Woche ein Treffen aller Lehrer sowie eine Gesamtkonferenz der Dozenten und Schüler. Jede Schule in Finnland hat laut Tapani Komulainen sehr große Freiheiten in der Ausführung und Ausgestaltung der Lehrinhalte. Projektbezogenes Lernen steht dabei absolut im Vordergrund.
Oberstes Ausbildungsziel: In Lohn und Brot kommen
Am 16. November hatte ich ein Meeting und Mittagessen mit Raino Sivonen, dem Direktor und Leiter des Bildungskonsortiums von Kainuun Ammatttiopisto (KAO), auf dem Campus des Polytechnikums von Kajaani, – einer Art Fachhochschule. Sein prinzipielles Credo: Die Ausbildung soll dazu führen, dass wirklich jeder in Lohn und Brot kommt. Das ist auch das oberste Ziel der Lehrer.
Danach war eine Gesamtkonferenz der Schüler und Lehrer angesetzt, wobei Tapani und Gitarren-Dozent Miko die einzigen anwesenden Lehrer waren. Es wurden die nächsten Projekte besprochen und für die jeweiligen Aufgaben Verantwortliche aus der Schülerschaft eingeteilt.
Digitale Lehrmittel mal anders: Gehörbildung mit Youtube
Anschließend hospitierte ich bei einer Gehörbildungs-Stunde. Hier wurden analog zu unserem System vorwiegend Intervalle und Akkorde (sukzessiv) geübt. Als Diktat wurde ein Melodie über Youtube abgespielt – ein altes finnisches Tangolied, das die Schüler schon kannten: Satumaa von Reijo Taipale.
Finale: Dreharbeiten & Abschlusskonzert
Am nächsten Tag filmte ein Team der EU-Kommission aus Brüssel Teile unsere Workshop-Probe für eine Dokumentation (ab Minute 17:59) zum Thema Berufsausbildung in Europa.
Tags darauf hatte ich Generalprobe mit meiner Workshop-Band im Vocational College. Als ich zum Soundcheck in der Wine Bar „Maria P“ im Zentrum von Kajaani eintraf, war ich überrascht: Die Schüler hatten bereits selbstständig das gesamte Equipment komplett aufgebaut, so dass es keine Verzögerungen im geplanten Ablauf gab. Um 21.00 Uhr begann das Konzert mit zwei Schulensembles. Danach trat eine Workshop-Band (Gesang, Gitarre, Bass & Schlagzeug) mit großem Erfolg und Zuspruch aus dem Publikum auf. Im Anschluss an das Konzert folgte eine Jam Session mit Schülern des KAO und unseren beiden Berufsfachschülern Fridolin Krön und Florian Rausch, die parallel zu einem zweiwöchigen Austausch in Kajaani zu Gast waren.
Fazit: Projektarbeit & unternehmerisches Denken fördern
Der nachhaltigste Eindruck, den ich von KAO und dem finnischen Ausbildungssystem mitnehmen konnte, war der Fokus auf die projektbezogene Arbeit mit den Schülern bzw. Studenten. Und das dahinter stehende Ziel, sie – versehen mit allem notwendigen Know-how – nicht nur in Bezug auf ihre musikalische Ausbildung sondern auch hinsichtlich ihres Status‘ als selbstständige Unternehmer möglichst übergangslos ins Berufsleben zu integrieren.